Der Mercedes Sprinter, ein LKW?
BayObLG, Beschluss vom 23.07.2003, Az.: 1 ObOWi 219/03
Fundstelle: DAR 2003, 469 ff.

I.

Im zu entscheidenden Fall ist der Fahrer eines Mercedes Sprinter mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,6 t, -in den Zulassungspapieren und in der Betriebserlaubnis eingetragen als „Pkw geschlossen“, „entspricht Kombilimousine“,- auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 154 km/h gestoppt worden. Mit dem Fahrzeug wurden Automaten transportiert. Der Fahrer hatte auf die Angaben seines Arbeitgebers vertraut, es handele sich bei dem Fahrzeug um einen Pkw; dies sei ihm auf Anfrage von den Zulassungsstellen und vom Kraftfahrtbundesamt mitgeteilt worden. Wegen vorsätzlicher Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 74 km/h hat das Amtsgericht den Fahrer zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt. Ferner ist ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden.

Das Amtsgericht ist von einer vorsätzlichen Tatbegehung ausgegangen.
Nach Feststellung des Gerichts sei das Fahrzeug nicht zur Personenbeförderung, sondern zum Gütertransport, nämlich zur Automatenbeförderung, bestimmt gewesen. Außer der Sitzbank für Fahrer und Beifahrer hätten sich keine weiteren Sitzgelegenheiten im Fahrzeug befunden. Das Fahrzeug sei zum Transport von Automaten und damit als Lastkraftwagen eingesetzt gewesen. Außerdem sei mit 4,6 t der in § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO angeordnete Grenzwert von 3,5 t überschritten, ab dem für Lastkraftwagen die Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h gelte.

Entgegen den Eintragungen habe es sich bei dem Fahrzeug nicht um einen Pkw gehandelt. Nach § 23 Abs. 6 a StVZO sind als Personenkraftwagen auch Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von nicht mehr als 2,8 t zu bezeichnen, die nach ihrer Bauart und Einrichtung geeignet und bestimmt sind, wahlweise vorwiegend der Beförderung von Personen oder vorwiegend der Beförderung von Gütern zu dienen, und die außer dem Führersitz Plätze für nicht mehr als acht Personen haben.

Das Vertrauen des Betroffenen in die Angaben seines Arbeitgebers, es handele sich nach Auskunft der Zulassungsstellen und des Kraftfahrtbundesamtes um einen PKW, sei zwar schuldmindernd zu berücksichtigen; hiermit habe er sich als Fahrer jedoch nicht begnügen dürfen. Es hätte auf der Hand gelegen, dass die von seinem Arbeitgeber befragten Behörden, deren Tätigkeitsschwerpunkt im Zulassungsbereich liege, zu Auskünften über Rechtsfragen, die die Straßenverkehrsordnung betreffen, nicht die erforderliche Kompetenz hätten.

Die gegen das Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde hatte nur teilweise Erfolg.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat das Urteil soweit es um die vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung beim Führen eines Lkw geht, bestätigt; allerdings ist das Fahrverbot aufgehoben worden und die Geldbuße auf 250 Euro herabgesetzt worden.

Es sei vorliegend von den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung nach unten abzuweichen . Wie das Amtsgericht festgestellt habe, sei der Betroffene in dem Bewußtsein gefahren, beim Überschreiten der Geschwindigkeit von 80 km/h auf der Autobahn nichts Unerlaubtes zu tun. Dieser Umstand lasse die ansonsten gegebene Indizwirkung des Regelfalls entfallen. Aus diesem Grunde sei die Geldbuße auf 250 Euro zu reduzieren.

Ebenso sei von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen. Bei Vorliegen eines Regelfalls nach der Bußgeldkatalogverordnung scheide die Anordnung eines Fahrverbots dann aus, wenn dem Betroffenen, der objektiv grob und/oder beharrlich seine Pflichten im Straßenverkehr verletzt habe, subjektiv ein solcher schwerer Pflichtenverstoß nicht angelastet werden könne. Der Geschwindigkeitsverstoß beruhe vorliegend lediglich auf Verbotsunkenntnis; es sei daher nicht geboten, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes auf den Betroffenen erzieherisch einzuwirken.

II.

Der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt stellt keinen Einzelfall im Verkehrsgeschehen dar. Viele als Pkw zugelassene, äußerlich als Lkw anmutende Fahrzeuge, insbesondere im Kurierdienst, fallen bei Nutzung der Autobahn durch extrem hohe Geschwindigkeiten auf. Allein die Zulassung und Eintragung als Pkw reicht nicht aus, es kommt auf die tatsächliche Nutzung an; dies ist durch die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts deutlich gemacht worden. Dessen muss sich jeder Fahrer bewußt sein. Vorliegend kommt hinzu, dass das zulässige Gesamtgewicht von 4,6 t bei einer festgestellten Geschwindigkeit von 154 km/h mit Blick auf etwaige Brems- oder Ausweichmanöver ein extrem hohes Unfallrisiko mit sich bringt. Insoweit wird verwiesen auf Bestrebungen in Fachkreisen, eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung für Fahrzeuge dieser Art einzuführen, unabhängig von der konkreten Nutzung, auch bei jetzt noch zulässiger Nutzung als PKW.

III.

Wegen der vorsätzlichen Begehungsweise ist, soweit es aufgrund des Geschwindigkeitsverstoßes zu einem Unfall kommt, zudem der eigene Versicherungsschutz in Gefahr. Bei einer vorwerfbaren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 74 km/h liegt ein zumindest grob fahrlässiges, wenn nicht gar vorsätzliches Handeln im Sinne der Versicherungsbedingungen vor, sowohl im Rahmen der Haftpflichtversicherung als auch der Vollkaskoversicherung.

Auch vor diesem Hintergrund sollte die tatsächliche Nutzung eines Fahrzeuges beachtet werden, auch wenn dieses als Pkw zugelassen und eingetragen ist.