Schadenberechnung bei fiktiven Reparaturkosten
BGH, Urteil vom 29.04.2003, Az.: VI ZR 398/02
Fundstelle: NJW 2003, 2086 ff.

I.

In dem zu entscheidenden Fall wurde bei einem Verkehrsunfall ein sieben Jahre altes Porsche Cabrio beschädigt . Die Eigentümerin ließ das Fahrzeug zur Ermittlung der Reparaturkosten in ein „Porsche-Zentrum“ bringen und die Reparaturkosten von einem Kfz-Sachverständigen auf Basis der Stundenverrechnungssätze der Vertragswerkstatt schätzen. Die Reparaturkosten wurden auf 30.683,30 DM inklusive der gesetzlichen Mehrwertsteuer geschätzt, der Wiederbeschaffungswert auf 45.000,00 DM.

Anschließend verkaufte die Geschädigte das Fahrzeug in unrepariertem Zustand zum Preise von 10.200,00 DM und verlangte von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners den Ersatz der fiktiven Reparaturkosten auf Gutachtenbasis.

Die gegnerische Haftpflichtversicherung verwies auf die Möglichkeit einer Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt, ferner auf das Alter des Fahrzeugs. Sie zahlte lediglich 25.425,60 DM. Hierbei legte sie einen Lohnfaktor auf der Basis mittlerer ortsüblicher Stundenverrechnungssätze zu Grunde.

Die Geschädigte hat den Differenzbetrag in Höhe von 5.257,70 DM (2.688,22 €) eingeklagt. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin müsse sich auf den günstigeren Weg einer Reparatur in einer anderen Fachwerkstatt verweisen lassen. Durch den Verkauf des unreparierten Fahrzeugs habe die Klägerin zudem zum Ausdruck gebracht, dass sich die Reparatur in einer Vertragswerkstatt nicht lohne, weil der Markt letzlich eine so teure Instandsetzung nicht entsprechend honoriere.

Die hiergegen eingelegte Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, hat nach Maßgabe der Vorschrift des § 249 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, Naturalrestitution. Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen.

Vor diesem gesetzlichen Hintergrund führt der Bundesgerichtshof aus: Nach ständiger Rechtsprechung sei der Geschädigte nicht dazu verpflichtet, sein Fahrzeug reparieren zu lassen. Der Geschädigte sei sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des zu leistenden Schadensersatzes frei. Der Geschädigte sei lediglich unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.
Hier genüge im Allgemeinen die Einholung eines hinreichend ausführlichen Sachverständigengutachtens. Bei voller Haftung des Schädigers solle dem Geschädigten ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommmen. Es sei eine subjektbezogene Schadensbetrachtung vorzunehmen unter Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten.

Eine Reparatur zu den von den Beklagten angeführten Preisen erfordere die Entfaltung erheblicher eigener Initiative durch den Geschädigten, wozu dieser nicht verpflichtet sei. Zudem sei in der Regel erforderlich, Erkundigungen hinsichtlich der Werkstatterfahrung für die Reparatur der entsprechenden Fahrzeugmarke einzuziehen und entsprechende Preisangebote einzuholen.

Auch das Alter des Fahrzeugs stehe dem Ansatz der Stundenverrechnungssätze der Vertragswerkstatt nicht entgegen. Allein das Alter des Fahrzeugs begründe keine weitere Darlegungslast, wenn der erforderliche Reparaturaufwand durch ein Sachverständigengutachten nachgewiesen sei. Der durch Gutachten ermittelte erforderliche Reparaturaufwand sei der „erforderliche Geldbetrag“, den der Geschädigte nach § 249 BGB statt der Herstellung verlangen könne.

Zudem bringe der Geschädigte mit der Weiterveräußerung des unreparierten Fahrzeugs nicht zum Ausdruck, dass eine Reparatur in einer Vertragswerkstatt nicht mehr lohne bzw. vom Markt nicht honoriert werde. Eine solche Einschätzung sei mit den genannten schadensrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar und auch durch die tatsächlichen Feststellungen nicht gedeckt.

II.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist zu begrüßen als konsequente Fortführung der Rechtsprechung zum Grundsatz der Naturalrestitution. Ein Abweichen von der zu Grunde liegenden Zielsetzung der Totalreparation hätte trotz hinreichend ausführlichen Schadensgutachtens unweigerlich zur Folge, dass die vom Gesetzgeber vorgesehene Freiheit des Geschädigten bei der Wahl der Mittel der Schadensbehebung in unzulässigem Maße eingeschränkt würde, der Schaden von der Höhe her „verhandelbar“ würde.

Bei möglichem Verweis auf eine Reparatur in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt könnten sich über die im Urteil angeführten Positionen hinaus zudem Probleme im Zusammenhang mit Garantiebedingungen ergeben, die eine Reparatur in einer Vertragswerkstatt erforderlich machen und anderenfalls einen Ausschluss etwaiger Garantieleistungen vorsehen.

III.

Mit Urteil vom gleichen Tage hat sich der Bundesgerichtshof für den Ersatz der Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts eines Fahrzeugs ausgesprochen, auch wenn die Reparatur nicht in einer Fachwerkstatt ausgeführt wird. Auch dieses Urteil ist als konsequente Fortführung der Rechtsprechung zum Grundsatz der Naturalrestitution mit dem Ziel der Totalreparation zu werten.

Damit hat sich der Bundesgerichtshof einer bislang weit verbreiteten Rechtsauffassung nicht angeschlossen, wonach der Schadenersatzanspruch sich begrenze durch den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs abzüglich des Restwerts, wenn die Reparatur nicht einer Fachwerkstatt durchgeführt werde.

Da das Fahrzeug vom Geschädigten tatsächlich repariert worden und weitergenutzt worden sei, stelle der Restwert lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten dar, den der Geschädigte nicht realisiert habe und der sich deswegen in der Schadensbilanz nicht niederschlagen dürfe.

Sowohl bei Geltendmachung des Schadensersatzes nach tatsächlich erfolgter Reparatur als auch bei Geltendmachung des Ersatzes fiktiver Reparaturkosten ist für den Bundesgerichtshof der Grundsatz der Totalreparation maßgeblich. Erst die Unverhältnismäßigkeit bildet die Grenze, ab welcher der Ersatzanspruch des Geschädigten sich nicht mehr auf Herstellung (Naturalrestitution) richtet, sondern allein noch auf den Wertausgleioh des Verlusts in der Vermögensbilanz (Kompensation). Die Grenze setzt der Bundesgerichtshof hier nach wie vor bei einer Instandhaltung mit einem Aufwand bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes.